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Amris Spuren in Karlsruhe - Der Attentäter von Berlin gab bei seiner Entlassung aus der JVA Ravensburg eine Anschrift in der Fächerstadt an

 Von unserem Redaktionsmitglied Tobias Roth
Die Sonne blendet den jungen Mann, er steht auf einem Platz, hinter ihm sprudelt die Fontäne eines Brunnes. Die Experten des Recherche-Netzwerks Bellingcat sind zunächst ratlos. Man könne noch nicht lokalisieren, wo genau dieses Foto aufgenommen wurde, schreiben sie. Vielleicht Paris, vielleicht Berlin. Der Mann, der darauf zu sehen ist, soll Anis Amri sein.
Rasch gibt es Reaktionen zu diesem Foto. „Jason“ kommentiert, die Sandsteine des Brunnens wären typisch für Westdeutschland, er sei US-Soldat und habe in Bayern gelebt. „John Doe“ ist sich sicher: „Germany, Karlsruhe, Friedrichsplatz“, schreibt er. Ein Twitter-Nutzer bringt dann Gewissheit. Er vergleicht das Foto mit Aufnahmen von „Google Maps“ aus Karlsruhe, es ist die gleiche Wasserfontäne, die gleichen Steine um den Brunnen und die gleichen Säulen des gelben Gebäudes im Hintergrund. Wenn der Mann Anis Amri ist – und die Ähnlichkeit ist deutlich – dann war der Attentäter im Sommer 2015 auf dem Karlsruher Friedrichsplatz. Das Foto ist das Profilbild eines Facebook-Kontos, das Bellingcat Amri zuordnet. Bellingcat durchforstet das Internet nach Spuren des Attentäters.
Das Rechercheteam, gegründet vom britischen Netzaktivisten Elliot Higgings, hat sich einen Namen gemacht mit Veröffentlichungen zum Absturz der Passagiermaschine MH17, das über der Ostukraine abgeschossen worden war. Zuvor hatte Higgings zum syrischen Bürgerkrieg recherchiert und Hunderte kurze Internet-Videos lokalisiert und analysiert. So konnte er nachweisen, dass das syrische Regime Streubomben und chemische Waffen eingesetzt hat. Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz begibt sich das Bellingcat-Team auf die Spur von Anis Amri in den sozialen Medien. Sie finden mindestens vier Facebook-Profile, die Amri angelegt haben soll. Sie stoßen auf Fotos und ein kurzes Video vom Berliner Spreeufer – und auf das Foto aus Karlsruhe mit dem Brunnen im Hintergrund. Aus den Fotos ergibt sich eine Art Bewegungsprofil von Amri. Wann genau das Bild vom Friedrichsplatz entstanden ist, bleibt allerdings unklar. Sicher ist, es wurde am 6. August 2015 bei Facebook hochgeladen. Auf dem Profil gibt er sich als Rechtsanwalt aus.
Das Datum würde zu dem passen, was man bisher über den Weg Amris in Deutschland weiß oder vermutet. Er soll Ende Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. Die „Schwäbische Post“ berichtete, Amri habe ein paar Tage in der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen gewohnt, von dort soll er dann weiter nach Karlsruhe geschickt worden sein. Ob er auch hier in der Landeserstaufnahmestelle an der Durlacher Allee unterkam? Dafür gibt es keine Bestätigung. Das Regierungspräsidium Karlsruhe zeigt sich zugeknöpft. Man gebe zum Fall Amri keinerlei Auskünfte, heißt es dort mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Eine Sprecherin der Karlsruher Behörde erklärt auf Anfrage lediglich, man ermittle weiterhin umfassend, in erster Linie gehe es darum, die Tat in Berlin vollständig aufzuklären. Aber natürlich sei für die Ermittler auch interessant, wo sich Amri in der Vergangenheit aufgehalten habe – solche Informationen könnten auch zu möglichen Hintermännern oder Helfern des Attentäters führen.
Es gibt weitere Spuren von Amri, die nach Karlsruhe führen. Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt hatte, wurde Amri bei einer Polizeikontrolle in Friedrichshafen aufgegriffen. Er soll abgeschoben werden, kommt am 30. Juli 2016 in die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Ravensburg. Dort wird er am 1. August entlassen, weil für die Abschiebung notwendige Papiere aus Tunesien, Amris Herkunftsland, fehlen. Bei seiner Entlassung in Ravensburg gibt Amri eine Adresse in Karlsruhe an, das bestätigte die JVA gestern auf Nachfrage dieser Zeitung. Wie genau es im konkreten Fall Amri abgelaufen sei, gehe aus den Aktenvermerken nicht mehr hervor. In der Regel werde ein Häftling vor seiner Entlassung noch einmal befragt, unter anderem, wohin er nun gehe. Auf diese Frage könnte Amri mit der Karlsruher Anschrift geantwortet haben. Fast genau ein Jahr zuvor hatte er das Karlsruher Bild auf sein Facebook-Profil geladen.
Das Foto vom Friedrichsplatz könnte für die Ermittler auch deswegen von Interesse sein, weil es sich in einem Detail von anderen Bildern unterscheidet, die Amri zeigen: Er hat es nicht selbst aufgenommen. Es ist kein „Selfie“, wie es mehrere von ihm gibt, vom Spreeufer oder aus einer Wohnung. Die Frage ist nun, wer hat das Foto gemacht? War Amri in Begleitung unterwegs? Hat er Passanten angesprochen? Das bleibt bislang, wie vieles weitere, unklar.
Bei Bellingcat sorgt das Foto auch noch Tage nach seiner Veröffentlichung für Reaktionen. „Michael“ meldet sich, auch er bestätigt, dass darauf der Friedrichsplatz in seiner Heimat Karlsruhe zu sehen sei – und er gibt noch eine weitere Information, die eine beunruhigende Verbindung zum Berliner Attentat herstellt. Dort, wo Amri sich fotografieren ließ, sind in der Weihnachtszeit die Buden des Karlsruher Christkindlesmarkt aufgebaut.
Quelle: Badische Neueste Nachrichten | Karlsruhe | ZEITGESCHEHEN | 28.12.2016

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